Living apart together familie family
28. Juni 2016 von Mareike Steger

Eine ganze halbe Familie

Eine Fernbeziehung hat fast jeder von uns schon einmal gehabt. Fanden die wenigsten gut. Was aber, wenn man eine Familie hat und ständig pendeln muss? Weil der Job es so will? Wir sagen, welche Klippen es beim Living apart together als Familie zu umschiffen gilt.

Zusammen und doch getrennt

Living apart together? Für Nele klang das immer schon wie ein Widerspruch. Für sie galt: Wenn man zusammen ist, wohnt man auch gemeinsam in einer Wohnung. Doch dann verliebte sie sich in Mark. Als ihr Sohn Max geboren wurde, hatte Mark, ein ehrgeiziger Informatiker, gerade seinen Job gekündigt. Zu wenig Erfüllung, nicht genug Geld. Und der nächste Job? Den nahm er nicht in Graz an, sondern in Amsterdam.

„Das war für mich ein Schock“, sagt Nele. „Ich dachte: Na toll, jetzt sind wir eine Familie und doch ständig getrennt.“ Es ist eben so, auch wenn unsere Arbeitsmodelle immer flexibler werden: Unsere Familienmodelle entwickeln sich nicht so schnell wie die Arbeitswelt.

Zusammen getrennt leben, Living apart together (LAT), ist keine neue Lebensform. Aber eine, die heute häufiger praktiziert wird, weil sich mehr Frauen und Männer, auch mit Kindern, beruflich verwirklichen wollen – und nicht immer findet sich der attraktivste Job am Wohnort. Menschen mit Kindern, die beruflich zwei Wohnsitze haben, werden in der Forschung auch „Shuttles“ genannt. Als Nele das ihrem Mann erzählte, nickte er zustimmend: „Klingt wie Space Shuttle – und so fühle ich mich auch. Ständig mit Vollgas zwischen zwei Welten unterwegs …“

Expertin Sandra Velásquez weiß, was LAT-Eltern mitmachen. Als Familienpsychologin berät sie viele Diplomatenfamilien – und weist auf zumindest einen Vorteil des Modells hin: „Nostalgie kann die Liebe frisch halten.“ Wer unter der Woche fort ist, freut sich am Wochenende umso mehr auf den anderen.

Meist ist es der Vater in der Familie, der beim Modell living apart together woanders arbeitet.

Doch natürlich gibt es Tücken: „Grundsätzlich sind beide Seiten belastet.“ Denn beide haben Nachholbedarf – was die Beziehung betrifft, die Kinder oder eben Auszeiten von ihnen, aber auch das „Ankommen“, wenn die Familie wieder komplett ist, kann belastend sein. „Nachholen geht jedoch nicht wirklich, dafür fehlt es meist an Zeit“, sagt die Familienpsychologin.

Wer sich unvorbereitet ins Shuttle-Abenteuer stürzt, läuft Gefahr, schnell enttäuscht zu werden. So wie Nele. Die sagt zwar: „Oft läuft die Routine zwischen dem Kind und mir besser, wenn wir nur zu zweit sind. Doch es gibt ein großes Aber: „Wenn es um Max geht, baue ich nicht auf Mark. Da fühle ich mich wie eine Alleinerziehende.“ Ein trauriger Satz, findet Expertin Velásquez. „Denn der Papa hätte gern, dass man auf ihn aufbaut.“ Und nicht jeder Shuttle hat es sich ausgesucht, nur Teilzeitpapa bzw. Teilzeitmama zu sein.

Struktur ist jedenfalls bei Living-apart-together-Familien die halbe Miete, sagt Sandra Velásquez: „Klären Sie vorher, wie die Tage ablaufen sollen, an denen der Partner wieder da ist.“ Ihm die Kinder hinzuschieben, sobald er zur Tür hereinkommt, sei zwar eine verständliche Reaktion, lässt dem anderen aber keine Zeit fürs Ankommen. Und auch wenn die Zeit knapp ist am Wochenende: „Nehmen Sie sich diese zum Reden mit dem Partner, damit sich der andere nicht fremd in der eigenen Familie vorkommt und Sie beide Ihre Erwartungen besprechen können.“

Womöglich gibt es im Umfeld Familien, die ähnlich leben. Wer sich mit diesen vernetzt, fühlt sich innerhalb dieser kleinen Gemeinschaft aufgehoben, weiß: Es ist eine schwierige Situation, aber keine unmögliche. „Holen Sie sich Hilfe dort, wo Sie sie brauchen, ob bei der Kinderbetreuung, im Haushalt oder wenn Sie die Situation als Paar nicht meistern.“

Die Familienpsychologin rät zudem, die neuen Kommunikationsmedien zu nutzen: Die Gutenachtgeschichte kann auch vom Papa über Skype vorgelesen werden, beim Abendessen kann er via Tablet dabei sein, und dass er regelmäßig Fotos aufs Handy schickt, verstehen schon die Kleinsten. „Auf einem Wandkalender können Sie ihnen visuell den Ablauf der Woche gestalten: Wann ruft Papa an, wann liest er mir vor usw.“

Nele hat durch Zufall eine Mutter kennengelernt, die ebenfalls das Modell Living apart together als Familie praktiziert. „Mit ihr tausche ich mich jetzt öfter aus. Und sei es nur, dass wir uns gegenseitig vorjammern, wie schlecht wir es haben. Dann ist es auch wieder gut – und wir lassen die miese Laune nicht an unseren Männern aus.“

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