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25. Mai 2016 von Mareike Steger

Freundeskreis

Warum Freunde die bessere Familie sind

Großfamilien? Gibt es kaum mehr. Man kann schon von Glück sagen, wenn die Verwandtschaft einmal im Jahr an einem Ort zusammenkommt. Fern der Heimat aber und bei zugleich immer weniger Nachwuchs werden Freunde wichtiger. Sind diese womöglich die bessere Familie?

Wenn Freunde an erster Stelle stehen

Auf jeden Fall machen Freunde glücklich: Wer einen zufriedenen Freund an seiner Seite weiß, erhöht seine Chancen auf Zufriedenheit um 25 Prozent. Der eigene Ehepartner hingegen hat weit weniger Einfluss. Susanne Lang, Autorin von „Ziemlich feste Freunde“, nimmt die Ergebnisse einer Harvardstudie als Beweis dafür, dass sie nicht falsch liegt mit ihrer Entscheidung.

Denn: Die Berlinerin ist bislang nicht ihrem Mann nach Hamburg gefolgt, wo er unter der Woche arbeitet. Sie lebt weiterhin mit den Kindern in Berlin. Warum? Ihrer Freunde wegen. „Ich wollte sie nicht zurücklassen, oder sollte ich besser sagen: verlassen?“, sagt sie.

Kein Wunder: Heutzutage, wo jede zweite Ehe geschieden wird, sind Freunde, womöglich noch welche aus Kindertagen, eine sichere Bank. Dazu kommt: Sofern wir überhaupt noch Familien gründen, werden diese immer kleiner: Schon jetzt lebt in der Hälfte der österreichischen Haushalte nur ein Kind.

Bleiben die Geburtenraten niedrig, haben immer mehr Kinder nicht nur keine Geschwister, sondern auch keine Tanten, Onkel, Cousins und Cousinen. „Das Verwandtschaftsnetz dünnt aus“, sagte der Soziologe Janosch Schobin in einem Interview mit der Wiener Zeitung. „Ein Leben mit Freunden wird dazu zur attraktiven Option.“

Der Experte bestätigt auch den Wandel, den moderne Freundschaftsbeziehungen erfahren. Suchte man sich noch vor wenigen Jahrzehnten Freunde nach praktischen Kriterien aus, verleihe man heute der Freundschaft mehr Tiefe.

Ein guter Freund bedeute heute, dem anderen emotional beizustehen. „Man kann also sagen: Die Freundschaft wird verfürsorglicht.“ Angesichts des ausdünnenden Verwandtschaftsnetzes ein wichtiger Punkt, denn: Wer soll einen denn pflegen im Alter, wenn man keine große Familie im Rücken weiß?

Der Soziologe Heinz Bude sieht daher Freunde folgerichtig als „dritten Weg“ zwischen Familie bzw. Partnerschaft und den Pflegeinstitutionen des Sozialstaates. Anders sei der drohende Pflegenotstand gar nicht lösbar – seiner Meinung nach werden „Menschen auf Basis einer Verpflichtung, die nicht blutsabhängig ist, füreinander einstehen“.

In Großstädten, so auch in Wien, gibt es jedenfalls mehr und mehr Wohnprojekte, in denen Menschen, die nicht miteinander verwandt sind, neue soziale Netzwerke leben können. Etwa in Wien-Simmering das Frauenwohnprojekt [ro*sa] oder in Donaustadt das im Bau befindliche Projekt zwei + plus, bei dem sich Wahlverwandte gemeinsam um Wohnungen bewerben müssen.

Interessanterweise sind uns Wahlverwandte doch gar nicht so unähnlich, haben Forscher der University of California jetzt herausgefunden: Freunde ähneln uns genetisch überraschend stark. Die Übereinstimmungen in der DNA sind so, als wäre der Freund ein Cousin vierten Grades. Warum das so ist? Die Forscher vermuten: Wir wählen unbewusst jene Menschen als Freunde, die auch genetisch zu uns passen.

Zahllose Studien unterfüttern zudem mit anderen Pros, warum es nicht so schlecht ist, Freunden den Vorrang vor Verwandten zu geben: Freunde machen uns nicht nur glücklicher, sondern auch gesünder, weniger schmerzempfindlich oder verlängern gar unsere Lebenserwartung. Ganz abgesehen vom größten aller Vorzüge: Anders als unsere lieben Verwandten dürfen wir uns unsere Freunde ja aussuchen. Und auch Familienmitglieder können sich jederzeit der Verpflichtung entziehen, sich um uns zu kümmern.

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