9. September 2017 von Janina Lebiszczak

Tabus sind Beauty-Killer:

Warum wir über Botox reden müssen

Jetzt regelmäßig auf maxima.at: Betrachtungen über Beauty-Trends, extravagante Experimente und große Missverständnisse - alles am eigenen Leib getestet von Redakteurin Janina Lebiszczak. Diesmal: Warum Botox nicht der Teufel ist.

In meinem engeren Freundeskreis gibt es zwei Arten von Frauen: solche, die sich Botox spritzen lassen, und solche, die gerne würden – es sich aber gerade nicht leisten können oder noch ein bisschen Bammel haben. Oder sie sind dafür einfach noch zu jung. Früher war das anders. Und die Schwellenangst enorm. Ich kann mich an ein Interview mit einer österreichischen Kabarettistin vor ungefähr zehn Jahren erinnern, die fast ausfällig wurde, so sehr verachtete sie das berühmte „Nervengift“. Die Weiber werden sich schön anschauen, meinte sie, wenn die jetzt noch unbekannten Spätfolgen alle möglichen fürchterlichen Krankheiten auslösen. Zitat: „Ich spritz mir doch kein Gift ins Hirn.“

 

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Botox-Partys im Waschkeller

Nun. Erstens wird Botulinumtoxin nicht ins Gehirn, sondern in jene Muskeln, die an der Faltenbildung beteiligt sind, gespritzt. Das flüssige Medikament wird im Abstand von wenigen Millimetern in den jeweiligen Muskel injiziert und entspannt ihn. Je nach Patient, darunter sind auch Männer, verschwinden feine Fältchen meist vollständig, die stärker ausgeprägten verlieren an Tiefe und werden gemildert. Diese Wirkung verfliegt nach bis zu sechs Monaten. Niemand hat davon jemals irgendwelche Schäden oder Spätfolgen davongetragen, außer er hat sich von einem Pfuscher behandeln lassen. Ja, das gibt es auch: Ich war mal bei einer „Botox-Party“, da kam der Typ mit dem Rad an und hat die wartenden Frauen im Waschkeller nacheinander abgefertigt. Spritz ’n’ Go. Ja, ich war blöd, und ja, ich sah danach für circa zwei Monate aus, als hätte ich mich dauerhaft ordentlich erschreckt. Wenn ich wütend war, bemerkte es keiner. Blöde Sache.

Vertrauen ist das A und O!

Wann und warum ich mich das erste Mal von einem Profi in die Stirn piksen ließ, weiß ich nicht mehr genau. Ich glaube, es passierte knapp vor besagtem Interview mit der wütenden Natural Beauty, weshalb ich mir währenddessen irgendwie schäbig vorkam. Und warum? Neugierde, wahrscheinlich. Heute bin ich 42 Jahre alt und gehe ein bis zwei Mal im Jahr zu meiner Ärztin Dr. Doris Grablowitz, die auch auf maxima.at regelmäßig ihre Tipps und Tricks verrät. Ich vertraue ihr zu hundert Prozent, sie ist lange genug im Beauty-Business, sie bildet sich regelmäßig fort, sie weiß um ihre Verantwortung, sie hat eine mütterliche, liebevolle Art, und sie sagt auch mal Nein, wenn ich über die Stränge schlagen möchte.

Warum ich mich oute …

Warum ich mich hier jetzt oute? Mir geht die Verlogenheit auf den Keks, mit der die Gesellschaft immer noch über Frauen richtet, die sich ab und an ein Jaukerl gönnen. Schon klar, man kennt die Horrorfotos diverser Celebritys. Der massive Botox-Unfall von Carla Bruni etwa. Das maskenhaft erstarrte Gesicht, der immer überraschte Ausdruck und vor allem: diese monkeymäßige Stirnwulst.

Das passiert, wenn man nur den Muskel, nicht aber den Gegenmuskel bedient. Die Stirnpartie senkt sich nach unten, man landet auf dem Planet der Affen. Außerdem sollte Mimik immer möglich sein, wenn natürlich nicht ganz so ausgeprägt. Aber ich werde gerade zu fachlich. Viel interessanter ist doch das Wieso. Gerade bei mir. Denn ich bin wirklich kein klassisches „Mädchen“. Eher schon: der „natürliche Typ“. Kann mit Stöckelschuhen nicht gehen, patze mich beim Essen an. Meine Fingernägel sind kurz und mein Humor schwarz. Meine Haare, meine Gedanken? Wirr. Eigentlich sollte ich doch – wie heißt es so schön – zu mir stehen. In Würde altern. Falten erzählen doch so wunderbare Geschichten.

Und welche schöne Geschichte erzählt eine Zornesfalte?

Schmeck’s! Nichts gegen charmante Lachfalten, aber was an einer massiven Zornesfalte erzählt bitte eine tolle Geschichte? Detto die fiesen Nasolabialfalten, also die Teile rechts und links eures Mundes – je tiefer sie werden, desto mehr sieht es aus, als hätte man sein Leben beim Branntweiner verbracht und niemals ein Yogastudio von innen gesehen. Da helfen keine drei Liter Wasser, da helfen keine acht Stunden Schlaf, und auch die ganzen teuren Cremen sind nur von oberflächlichem Nutzen. Darüber reden darf man aber nicht. Weil Frauen ja von ganz alleine schön sein müssen, sonst gilt es nicht. Unglücklicherweise führt diese Tabuisierung dazu, dass ein Erfahrungsaustausch schwierig wird, und damit spielt man den leider unzähligen Quacksalbern in die Hände, die ohne entsprechende Ausbildung drauflosspritzen – da darf man sich nicht wundern, wenn man sich danach Stirnfransen schneiden lassen muss. Ja, ja, die berühmte Würde, in der man bitte schön altern soll. Aber fällt dir ein Zahn aus, ätzt keiner, wenn du ihn dir ersetzen lässt.

 

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Dass ich Botox verwende, ist übrigens noch nie jemandem aufgefallen. Ich allerdings fühle mich besser, leide nicht mehr so oft oder stark unter Kopfschmerzen, mein Blick ist offener, mein Selbstbewusstsein größer. Mein Gesicht ist weder maskenhaft, noch habe ich meine Mimik oder gar meine Empathie verloren. Weniger ist wahrscheinlich mehr – und ein guter Arzt das Allerwichtigste. Denn Botulinumtoxin wird auch bei Dystonie, Spasmus hemifacialis und Spastik eingesetzt, ebenso bei Migräne oder gegen übermäßiges Schwitzen. Alles in allem halte ich das berühmte „Nervengift“ für ein gutes Produkt, sofern mit dem nötigen Respekt und der entsprechenden Ausbildung herangegangen wird. Ob oder ob nicht – das muss jedem selbst überlassen bleiben. Denn alt werden wir alle. Hoffentlich. Ich vielleicht mit ein wenig geringerer Faltentiefe.

Ach ja: Das hier ist meine höchstpersönliche Meinung zum Thema. Was ihr schön findet, wie ihr altern möchtet – das kann euch keiner nehmen. 

PS: Ein deutscher Biochemiker hat ein tierfreies Verfahren erfunden, um das Anti-Falten-Mittel zu testen, leider hapert es derzeit noch an der Umsetzung aufgrund von Geldmangel und Bürokratie.

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