Sanfte Eingewöhnung in der Krippe
Wenn Kleinkinder in die Krippe kommen, fließen Tränen. Dabei geht es auch ohne: sofern Eltern und Erzieherteam auf sanfte Eingewöhnung setzen! Experten sagen rechtzeitig vor dem Krippenstart im September, wie das geht.
Eingewöhnung: Kinderängste ernst nehmen
Maria schreit. Keine Mutter der Welt würde das panische Weinen aushalten. Doch Marias Mama kann die Zweijährige nicht in den Arm nehmen. Die Erzieherinnen einer Kinderkrippe in Wien haben sie fortgeschickt. Für Maria ist es Tag 2 in der Kinderkrippe, und oft läuft die Eingewöhnung von Kleinstkindern so ab: Nach wenigen Tagen müssen die Eltern aus dem Raum, das Kind soll sich allein an den neuen Zustand gewöhnen. Dabei sind ihm zu diesem Zeitpunkt weder die Betreuerinnen noch der Ort vertraut, es kennt weder die Tagesabläufe noch die anderen Zwerge.
Für kleine Kinder unter drei Jahren ist das purer Stress. Studien vergleichen die Belastung mit der, die Topmanager erleben. Nur: Erwachsene haben Strategien, dem Stress aktiv etwas entgegenzusetzen. Kleinkinder reagieren mit Trennungsangst, Tränen oder regressivem Verhalten – sie können wieder anhänglicher werden, bekommen (Durch-)Schlafprobleme, werden aggressiv. Was der erhöhte Cortisolspiegel dauerhaft in ihrem Hirn anrichtet, weiß man noch nicht genau – dass Kleinstkinder fremdbetreut werden, ist ein junges Phänomen.
Dabei geht es auch anders. Die Wiener Kinderpsychologin Theresia Herbst hält nichts von strikten Fahrplänen in der Krippe wie etwa dem Berliner Modell. Auf sicherebindung.at gibt sie Tipps, wie Eltern ihren Kindern den Start in Krippe oder Kindergarten erleichtern. „Eingewöhnung muss man individuell auf jedes Kind abstimmen“, sagt sie. „Für diesen Prozess reichen wenige Tage nicht aus.“
Am wichtigsten bei Kindern unter drei sei, Mutter oder Vater als Vertrauensbasis so lange in der Krippe zu belassen, wie das Kleine seine Eltern brauche. „Erst wenn das Kind beginnt, von sich aus aktiv zu werden, zu spielen und Kontakte zur Kleinkindpädagogin anzubahnen, kann die Mutter oder der Vater mehr in den Hintergrund rücken.“

Nach und nach könne der eingewöhnende Elternteil Hilfeleistungen, wie Unterstützung für ein Spiel, Essen oder Wickeln, an die Kleinkindpädagogin übergeben – er sollte aber noch im Raum bleiben. Erste Trennungsversuche empfehlen sich bei den meisten Kleinkindern erst nach ein paar Wochen. Voraussetzung: Das Kind sucht nicht ständig die Rückversicherung beim Elternteil, sein Vertrauen ist auf die Erzieherin übergegangen. Das geht nicht von heute auf morgen.
Vorreiter der sanften Eingewöhnung war Kinderarzt Dr. Rüdiger Posth, der das vielfach besuchte Forum www.rund-ums-baby.de/entwicklung betreute, bis zu seinem Tod Ende 2014. Er war sich sicher: Sanfte Eingewöhnung geht ohne Tränen – und sollte es auch. Denn wer die Gefühle eines Kleinkindes ernst nimmt, weiß: Ein Kind spielt nicht seine Macht aus, wenn es auch nach Wochen noch immer bei Trennungsversuchen weint. Es weint auch nicht aus Trauer oder Wut über das Fortgehen der Mutter. „Es weint allein aus Angst davor, verlassen zu werden“, so Posth. Werde das Geschehen allerdings auf einen Machtkampf reduziert, mache man damit den Eltern moralischen Druck, sich gegen ihr Kind durchzusetzen – siehe die kleine Maria.
Auch Theresia Herbst warnt davor, Kinder zu früh allein in der Fremdbetreuung zu lassen. „An der Fähigkeit zum Trösten zeigt sich, wie tragfähig die Beziehung zwischen dem Kleinkind und der Pädagogin bereits ist“, sagt sie. „Gelingt es der Erzieherin nicht, das Kind zu beruhigen, sollte der Trennungsversuch abgebrochen werden.“ Scheitern die Trennungsversuche wiederholt, ist das Kind noch nicht so weit, fremdbetreut zu werden. „Auf keinen Fall sollte ein weinendes oder gar schreiendes Kind von der Mutter zurückgelassen werden!“
Je jünger ein Kind ist, desto länger braucht es für die sanfte Eingewöhnung. Daher sollten Eltern für den Krippenstart viel Zeit einplanen – und nicht erst kurz vor Ende der Elternzeit damit starten. Wenn es sanft eingewöhnt wird, ohne Tränen, fühlt sich das gut an, auch für das Kind. Denn, so Posth: „Selbständig werden und sich lösen sind eine Art Befreiungsakt, der glücklich macht!“