#metoo Kein Opfer werden obowohl man Opfer war
27. Oktober 2017 von Janina Lebiszczak

Ich will kein Mitleid, ich will Gehör.

#metoo – auch ganz ohne Hasthag

maxima-Kolumnistin Janina Lebiszczak hat sich Gedanken gemacht. Zu #meetoo, #menot und dem Versuch, kein Opfer zu werden, obwohl man Opfer war.

Ich gehöre zu jenen Frauen, die nicht unter dem Hashtag #metoo öffentlich gemacht haben, dass ihnen sexuelle Gewalt zugestossen ist. Das hat einen ganz simplen Grund: ich thematisiere, was mir und meinen Freundinnen passiert ist so und so regelmässig. Mit Anlass, manchmal ohne. Das ist eben mein Versuch, anderen zu zeigen, dass sie nicht alleine sind – und dass sie auf keinen Fall daran schuld sind, was ihnen passiert ist. Im Job, im Privaten.

#metoo

Wer mich kennt, weiss dass ich eine große, starke, mutige Frau bin, dass ich alles andere als auf den Mund gefallen bin, dass ich laut und deutlich NEIN sagen kann. Hat aber nicht immer gereicht. Es ist genug passiert, was unangenehm und gefährlich war – und nein, ich habe in diesen Situationen weder einen Mini-Rock getragen noch war ich auf Aufmerksamkeit oder einen Job aus.

Mein Infight mit einer Hyäne

Mit 19 war ich mit einer Gruppe Burschen unterwegs, die mich damals faszinierten. Wild und cool und böse. Oft feierten wir gemeinsam in einem Lokal im ersten Bezirk Wiens, und da der „Anführer“ der Formation offensichtlich ein bisserl auf mich stand, hielten sich seine Freunde zurück, was sie bei anderen Besucherinnen des Lokals nicht taten. Bis auf diesen einen Abend, an dem der Boss nicht dabei war und mich die, wie immer ziemlich alkoholisierte, „Hyäne“ (so wurde er wegen seines Lachens uns seiner zweifelhaften Mundhygiene genannt) auf die Toilette zerrte, mich betatschte und seine Hose öffnete. Vielleicht war es die Leichtigkeit der Jugend oder das Wissen, dass hinter der Tür reger Betrieb herrschte, aber ich reagierte cold as ice. „Du willst das nicht wirklich, oder?“ fragte ich ihn, „Du möchtest nur deinen Freunden imponieren, oder?“

Stupid is the new brave

Hyäne blickte mich mit dumpfen Augen an und liess die Hose runter. Ich trat ihm ins Gemächt, piekste ihm ins Auge und flüchtete aus dem Klo. Draussen bejohlten die anderen Burschen meine Tat. Für sie war ich nun Teil der Bande und die sich krümmende Hyäne ein Loser. Heute denke ich mir, schöner wäre es gewesen, wenn sie mir geholfen hätten. Heute weiss ich auch, Solidarität ist keine Selbstverständlichkeit. Ich möchte nicht darauf eingehen, wie sich eine heimische Schauspielerin über die Opfer von sexueller Gewalt geäußert hat. Sie hat schon genug Aufmerksamkeit bekommen. Stupid is the new brave, ganz offensichtlich. Das beweist auch wer sie alles beklatscht. Das sind Menschen, mit denen ich nichts zu tun haben möchte.

Wenn der neue Boss mehr als busseln will

Und im Job? Ich war immer der Kumpeltyp und ich war immer sehr selbstbestimmt. Mein Netzwerk und mein Background taten ihr übriges, mir ist nie etwas passiert. Nein. Natürlich stimmt das nicht. Ich wechselte von einem Frauen- zu einem Nachrichtenmagazin und lud meinen neuen Chefredakteur, zu dem ich ein amikales Verhältnis pflegte, zur Abschiedsparty ein. Es wurde spät, mein Freund ging, meine Freunde gingen, er blieb. Als ich zur Endabrechnung schreiten wollte, drückte er mich plötzlich gegen die Wand und versuchte mich zu küssen. Ich war verblüfft. Immerhin wusste er dass ein naher Verwandter im selben Unternehmen tätig war – im Grunde genommen sogar als sein Vorgesetzter. Geilheit muss eine arge Droge sein.

Der Müll, den ich lesen muss

Ich weiss noch wie irritiert ich war, als ich spätnachts vom Lokal in meine nahe Wohnung spazierte. Was hatte ich falsch gemacht? Warum passiert mir so etwas? Wie wird es nun weiter gehen im neuen Job, um den ich schreckliche Angst hatte. Nichts ist passiert. Der Mann wurde nach einem Jahr hinausgeworfen, aus anderen Gründen. Er hatte mich nie wieder belästigt. Aber es blieb nicht das letzte Mal, dass jemand versuchte mich zu demütigen, zu erniedrigen, zu belästigen. Offenbar – und auch der #meetoo hat das sichtbar gemacht –  ist das nicht die Ausnahme. Ich bin keine Randerscheinung.

 

So und nun zu dem ganzen Schrott, den ich in sozialen Medien in den letzten Tagen gelesen habe. Ich hasse Männer nicht, weil ein paar Arschlöcher zufällig Männer sind. Ich bin weder frigide noch geil auf Fame. Ich sehe mich nicht als Opfer, obwohl ich eins war. Das sucht man sich nämlich nicht aus. Mir ist bewusst, dass auch die Arschlöcher unter den Frauen Mist bauen. Mir ist aber auch bewusst, dass das auf keinen Fall schmälert, was den Unschuldigen für Leid angetan wurde und wird. Ich will kein Mitleid, ich will Gehör.

Wo bleibt die Solidarität?

Liebe Mädchen, liebe Jungs, liebe Frauen, liebe Männer. Wenn ihr ähnliche Erfahrungen gemacht habt wie ich: Ihr seid nicht schuld. Nicht eine Sekunde. In unserer Gesellschaft ist Solidarität das höchste Gut. Wenn wir aufhören, aufeinander zuschauen, den Schmerz der anderen ignorieren oder sogar ins Lächerliche ziehen, sind wir verloren. Und zwar alle. Sexuelle Gewalt ist in JEDER FORM ein No-Go und weder eine Schauspielerin, die einen Film promotet noch irgendwelche Mini-Machos und Chauvis werden das jemals ändern. Unrecht sichtbar zu machen und sich zu trauen darüber zu sprechen, ist der erste Schritt auf einem langen Weg zu einem menschenwürdigen Leben in Respekt und Liebe. Es ist wichtig, zu verstehen, dass es nicht um Fronten zwischen den Geschlechtern oder um Fronten zwischen jenen, denen „sowas“passiert ist, und jenen, denen nichts passiert ist, geht – sondern um Solidarität und Anerkennung und das Ernstnehmen von Leid, wo Leid zugefügt wurde. Denn dieses verjährt nicht. Mit oder ohne Hashtag.

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