22. Januar 2017 von Sylvia Buchacher

Rat vom Profi

Interview: Was bringen Nahrungsergänzungsmittel wirklich?

Gerade in der kalten Jahreszeit greifen wir oft zu Nahrungsergänzungsmitteln, um unser Immunsystem zu stärken. Doch wie sinnvoll ist die Einnahme wirklich, kann man sich damit auch schaden, und welche sollte man zuhause haben? Wir haben bei Dr. med. Tanja Pisec-Weihen, Fachärztin für Allgemeinmedizin, nachgefragt.

Interview mit Dr. med. Tanja Pisec-Weihen

1. Viele Menschen geben für Nahrungsergänzungsmittel viel Geld aus. Wie sinnvoll und wirksam sind diese wirklich im Vergleich zur normalen Nahrungsaufnahme?

An erster Stelle sollte immer eine ausgewogene Ernährung angestrebt werden. Damit kann der notwendige Bedarf an Mikronährstoffen, also Vitaminen, Mineralstoffen, Aminosäuren, Fettsäuren sowie anderen wichtigen Nährstoffen, gewährleistet werden. Unterstützend dazu ist ein gesunder Lebensstil mit regelmäßiger Bewegung, gutem Stressmanagement sowie Nikotin und Alkohol nur in Maßen genossen die Voraussetzung. Ein gesunder Körper benötigt die oben genannten Nährstoffe in ausreichender Menge. Bei ungenügender Zufuhr reagiert er mit einer Störung von Stoffwechselvorgängen. Diese können sich in weiterer Folge in verschiedensten Beschwerdebildern, bis hin zur Krankheitsentstehung, äußern. Infolgedessen ist es sicher sinnvoll und notwendig, die Nährstoffe auszugleichen und zu substituieren. Dies sollte jedoch nie ungezielt und in Eigenregie erfolgen, sondern immer erst nach genauer körperlicher Untersuchung durch einen Arzt.

2. Welche sollte man jetzt im Winter zu sich nehmen und warum?

Zur Stärkung des Immunsystems spricht nichts dagegen, über einen kürzeren Zeitraum Zink, Vitamin C und vor allem auch Vitamin D zu sich zu nehmen. Es ist jedoch unbedingt auch auf die geeignete Dosierung zu achten. Außerdem sollte man ein geeignetes hochwertiges Präparat wählen, möglichst in Reinform, also ohne Zusatzstoffe.

3. Kann man sich mit einem Zuviel auch schaden?

Ja, natürlich, wenn auch eher selten. Nahrungsergänzungsmittel sind nämlich keine „Bonbons“. Sie können manchmal auch unerwünschte Wirkungen hervorrufen, beispielsweise Eisen und Vitamin D, das ja auch den Kalziumspiegel beeinflusst. Ebenfalls kann ein Zuviel an Zink ungünstig für den Organismus sein, da es den Kupferspiegel senken kann. Und dieser ist wiederum bei vielen enzymatischen Prozessen im Körper beteiligt. Nicht zu vergessen, dass es auch zu vielfältigen Interaktionen mit gleichzeitig eingenommenen Arzneimitteln kommen kann. Bei Einnahme der Pille kann es z. B. zu Störungen des Vitamin-B-Stoffwechsels kommen. Die Einnahme von Magensäureblockern kann die Aufnahme von Vitamin B12, Zink, Eisen und weiteren Mikronährstoffen hemmen. 

4. Inwiefern kann die regelmäßige Einnahme von Vitaminen oder Mineralstoffen auch chronische Krankheiten wie z. B. Blasenentzündungen oder Migräne vorbeugen?

Bei immer wieder auftretenden Blasenentzündungen ist es sicher sinnvoll, zur Vorbeugung ein Cranberry-Präparat zu nehmen. Dadurch kann die Anhaftung der Keime an der Blasenschleimhaut vermindert werden. Ebenso ist ein geeignetes Probiotikum zum Aufbau der Vaginalflora sinnvoll. Auch bei geplanter Schwangerschaft macht es Sinn, bereits prophylaktisch ein Folsäurepräparat einzunehmen. Hier sollte man aber unbedingt auf ein dafür geeignetes Präparat achten. In der Migräneprophylaxe haben sich B-Vitamine, Magnesium und Coenzym Q10 in mehreren Studien als wirksame Mikronährstoffe erwiesen.

5. Welche finden Sie persönlich sinnvoll und welche kann man sich sparen?

Das hängt nicht unwesentlich von der Zielgruppe ab, also von Alter, individuellen Anforderungen und bestehenden Erkrankungen bzw. Defiziten. Schwangere, Stillende, ältere Personen sowie Kinder haben einen anderen Mikronährstoff-Bedarf. Auch bei Laktose- oder Fruktose-Intoleranz kann es zu einer Unterversorgung mit Mikronährstoffen kommen. Laut österreichischem Ernährungsbericht gibt es in allen Altersgruppen vor allem bei Folsäure, Vitamin D und Kalzium Defizite. Falsche Ernährung, Nahrungsmittelunverträglichkeiten oder die Einnahme von Medikamenten können zusätzlich eine Nährstoff-Unterversorgung nach sich ziehen. Sinnvoll zu substituieren ist aber immer nur das, was individuell fehlt! Und dazu sollte man zuerst wissen, welcher Mikronährstoff in welcher Menge überhaupt benötigt wird. Wie bereits erwähnt, sollte die Notwendigkeit eines Nahrungsergänzungsmittels immer erst nachgewiesen werden. Es ist sicher nicht sinnvoll, ein Multivitaminpräparat nur deshalb zu nehmen, weil es die Freundin vielleicht auch nimmt.

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